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Dienstag, 16.04.2024

Neubürger bei Tieren

Nilgans©Michael Korn

Sichtungen von tierischen Neubürgern (Neozoen) bitte unter folgender Nummer melden!Ansprechpartner für den NABU Gladbeck Michael Korn Bülser-Str.142 45964-Gladbeck Tel: 02043-64743 Mobil: 0151-58812791. E-Mail: michael.korn(at)nabu-gladbeck(dot)de

Neozoen in Gladbeck

Kanadagans©Michael Korn

Neozoen in Gladbeck Tierische Neubürger in unserer heimischen Natur

Weltweit gesehen sind Neozoen die bedeutendsten Veränderungen der Artenzusammensetzung neben dem Aussterben, eine weltumspannende Anreicherung der heimischen Lebensräume durch gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten. Neozoen sind nichtheimische Tiere, die vereinzelt oder invasionsartig sich etablieren. Sie sind seit Beginn der Neuzeit beabsichtigt oder unabsichtlich unter direkter oder indirekter Mitwirkung des Menschen in zuvor nicht zugängliche Verbreitungsgebieten gelangt. Symbolisch ist dieser Zeitraum durch Experten auf 1492 festgelegt worden, da man vermutet, dass hier der Beginn die Intensivierung der weltweiten Handelsströme begann.

Man unterscheidet beim Auftreten neuer Tier- und Pflanzenarten vier Zeitabschnitte:Das Zeitalter der Entdeckungen (16. Jh.)  Das Zeitalter des Kolonialismus (17. und 18. Jh.)  Das Zeitalter der industriellen Revolution (1830 – 1950)  Das Zeitalter der menschlichen Mobilität (ab 1950). In jedem dieser Zeiträume gab es, soweit das heute noch nachvollziehbar ist, ein Auftreten neuer Arten aus ganz unterschiedlichen für die betreffende Periode charakteristischen Gründen. Das 16. Jahrhundert und der Zeitraum der überseeischen Kolonien im 17. und 18. Jahrhundert sind gekennzeichnet durch die Einführung von Kultur- und Gartenpflanzen in hoher Zahl. Dagegen ist die Menge der in dieser Periode zu uns gelangten neuen Tierarten (Haustier, Jagdtiere, Tiere in Menagerien und Tier- und Pflanzenparasiten) wesentlich geringer. Die industrielle Revolution um 1830 – 1950 und vor allem das Zeitalter der menschlichen Mobilität ab 1950 ergaben eine erhebliche Steigerung des Austausches an Pflanzen und Tieren zwischen den Kontinenten hinweg. Der zunehmende Mobilitätsdrang des Menschen, das Reisen in fremde Länder, internationale Handels- und Verkehrsbeziehungen und das Interesse an exotischen Tierarten haben in der heimischen Natur ihre Spuren hinterlassen. Zur Zeit gelten 1,6% des deutschen Tierartenbestandes, das sind 740 Tierarten, als gebietsfremd, wobei die Einwanderung in Landlebensräumen schneller vonstatten geht, als die Eroberung mariner Lebensräume.

So verwundert es nicht, dass auch in unserer Heimatstadt die Neubürger im Tierreich zu entdecken sind. Der interessierte Naturbeobachter braucht nicht lange suchen, um fündig zu werden. An fast allen Stillgewässern in der Stadt Gladbeck ist die Rotwangenschmuckschildkröte kein ungewöhnlicher Anblick mehr. Die eigentliche Heimat dieser Wasserschildkröte ist Nordamerika. Durch den Tierhandel wurden und werden jährlich große Zahlen von exotischen Reptilien nach Mitteleuropa eingeführt. Dabei nehmen die Wasserschildkröten beim Verkauf an so genannte Tierfreunde eine große Rolle ein. Als Tiere für wenig Geld werden sie für die Terrarienhaltung oder für Gartenteiche angeboten, wobei der Tierhandel dem Laien vorgaukelt, sie seien einfach zu halten. Die Realität ist eine andere. Reptilien und besonders Wasser- und Landschildkröten sind empfindliche und pflegeintensive Geschöpfe. Die Tiere werden als Babyschildkröten gekauft und können bei guter Haltung bei einigen Arten eine Panzerlänge von bis zu 40 cm erreichen. Wird das vermeintliche Lieblingstier zu groß und die Pflege zu zeitaufwendig, reagiert der Mensch mit der üblichen Wegwerfmentalität; das bedeutet im günstigsten Fall mit der Freisetzung ins Freiland. Aber bis heute gib es noch keinen Nachweis, dass sich Rotwangenschmuckschildkröten in der freien Natur reproduzieren können. Diese Schildkrötenart wird erst mit zehn Jahren geschlechtsreif und hat eine Lebenserwartung von 30 Jahren. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich im Freiland vermehren. Seit etwa 1989 gelten für einige Arten Einfuhrbeschränkungen auf dem deutschen Tiermarkt. Trotzdem nimmt die Rotwangenschmuckschildkröte Rang zwei in der Präsenz der Reptilien im Ballungsraum Rhein – Ruhr ein.

Einen besonderen Platz bei den gebietsfremden Tierarten nehmen die Vögel in Anspruch. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat es mindesten 47 Versuche gegeben, bei uns nichtheimische Vogelarten in Mitteleuropa anzusiedeln. Die Liste der Brutvögel Europas enthält 31 etablierte Neubürger. In Deutschland sind elf der insgesamt 162 gefiederten Neozoen eingebürgert. Die erfolgreichste Neuansiedlergruppe sind die Entenvögel. Die Kanadagans, ursprünglich aus östlichem Nordamerika stammend, ist im 17. Jahrhundert in England eingebürgert worden. Um 1929 begann die Ansiedlung in Schweden; bis 1982 stiegen die Bestände auf 5000 Brutpaare. Heute brüten sie auch in Norwegen, Finnland, Großbritannien, Irland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und in Österreich. Etwa 5000 Kanadagänse kommen ganzjährig in Deutschland vor. Der Brutbestand wird auf circa 200 bis 300 Brutpaare geschätzt, für das Bundesland Nordrhein-Westfalen auf 100. Im Stadtgebiet Gladbecks sind drei Brutpaare nachgewiesen. Um die Wanderbewegungen der Kanadagänse in unseren Breiten besser zu erfassen, wird seit einiger Zeit eine Beringung durch die Arbeitsgruppe Neozoen auch in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Dem interessierten Naturbeobachter ist bei Spaziergängen am Nordparkteich vielleicht schon aufgefallen, dass eine Kanadagans einen Markierungsring mit der Aufschrift P 12 trägt. Die Sichtungen werden dann durch geschulte Personen notiert und der Beringungszentrale mitgeteilt. Ein weiterer Gefiederter bereichert mit seiner Anwesenheit die Stillgewässerlandschaft in unserer Heimatstadt, die Nilgans. In Afrika einer der häufigsten Wasservögel, ist ihr eigentliches Verbreitungsgebiet das tropische Afrika südlich der Sahara und nördlich im Niltal. Seit mindestens 300 Jahren wurde sie gerne in Zoos, Parks und Vogelsammlungen in Mitteleuropa gehalten. Das Verbreitungsgebiet der Nilgans zieht sich über Südostengland, die Niederlande, die westfriesischen Inseln, Nordbelgien und Teilbreiche Deutschlands hin. Schätzungen sprechen von 300 und für NRW allein 200 Brutpaaren. In unserer Gemeinde haben sich zwei Brutpaare angesiedelt.

Als etabliert gelten Arten, die mindestens drei Generationen oder 25 Jahre ohne menschliches Zutun überleben können. Zahlreiche weitere Arten sind nach momentanem Stande der Erfassung als noch nicht oder nur punktuell etablierte Neubürger im Vogelreich einzustufen: Schwarzschwan, Streifengans, Schwanengans, Moschusente, Chileflamingo, heiliger Ibis, Truthuhn, Großer Alexandersittich und Mönchsittich. Ein Großteil der oben aufgeführten Vogelarten sind Nachkommen von Gefangenschaftsflüchtlingen. Gute Beobachtungsorte in Gladbeck für Nilgans und Kanadagans und andere Vertreter der gefiederten Neubürger sind die Teichgewässer im Wittringer Wald, am Nordpark und am Schloss Beck. Auch im Säugetierreich sind in unseren Breiten heute etwa elf Arten als angepasste Neubürger zu bezeichnen. Die meisten dieser Tiere sind absichtlich im Freiland angesiedelt und haben heute ein kleines Verbreitungsgebiet. So wurde in den Wäldern der Kirchheller Heide schon die ersten Waschbären von Jägern gesichtet. Der Gesamtbestand des Waschbären in Deutschland wird auf 20.000 geschätzt. Eine Erfolgsgeschichte der besonderen Art ist die so genannte Bisamratte, die der Familie der Schermäuse angehört. Auch in Gladbeck ist sie Bewohner von Fließgewässern und Stillgewässern, wo er bevorzugt freie und leicht verkrautete Wasserflächen mit ausreichender Ufervegetation besiedelt. Die Besiedlungsdichte ist für das Stadtgebiet unbekannt. Als der Fürst Colleredo-Mansfeld im Jahre 1905 fünf Bisame, die er von einer Reise aus Alaska mitbrachte, in der Nähe von Prag auf einem Gutshof freiließ, wusste er wohl nicht, welche Ausbreitungsschnelligkeit dieser Wasserbewohner an den Tag legt. In kurzer Zeit verbreiteten sich die Nachkommen in einem Zeitraum von nur zehn Jahren bis an die Grenzen der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Schon 1974 waren große Teile Deutschlands besiedelt. Sichtungen der Bisamratte gibt in den Naturschutzgebieten Boyetal-West an der Hornstraße und Boyetal-Ost an der Stadtgrenze zu Bottrop und Essen.

Im Sinne des Naturschutzes stellen die meisten Neozoen keine unmittelbare Bedrohung der heimischen Tier- und Pflanzenwelt dar, aber vereinzelt treten Probleme auf. In der Geschichte der Evolution hat es immer wieder Veränderungen in den Lebensräumen und Lebensgemeinschaften gegeben. Das Aussetzen von gebietsfremden Tierarten, ob beabsichtigt oder nicht, kann in einigen Fällen die heimische Fauna gefährden. Es geht hier nicht um die Verteufelung der Neozoen, wie zum Beispiel in einigen unqualifizierten Presseorganen zu lesen ist, sondern um das neutrale Abwägen des Für und Wider dieser Problematik. Nicht emotionale Gefühle, sondern klares Denken sollten das Handeln des Menschen in der heimischen Natur bestimmen.                                                                           Michael Korn